Manchmal, wenn ich mit Klienten arbeite, stelle ich fest, dass sie keinen Willen aufbringen können neue, bessere Entscheidungen für sich zu treffen. Sie sind gefangen in destruktiven Verhaltensweisen und jeder kleine Schritt aus diesem Muster hinaus, in eine konstruktive, wertschätzende Handlung sich selbst gegenüber triggert einen sofortigen Rückfall in die alten Verhaltensweisen.
Auch dann, wenn sie sich darüber sehr bewusst sind. Wenn sie sich klar sind, über die eigene Destruktivität und sie auch nicht leugnen. Das können Süchte in Form von Suchtmitteln sein, Essstörungen, völlige Antriebslosigkeit oder anderes.
Manchmal hilft die Frage « Willst du glücklich sein oder recht haben?» um den Schritt aus dem Bekannten zu wagen und die Identifikation mit dem Schmerz und dem inneren Opfer zu lockern.
Manchmal aber braucht es etwas ganz anderes: Die Anerkennung und Bezeugung des Schmerzes, den ein Mensch erfahren hat.
Diese Menschen sind so lange nicht bereit, sich aus ihrem Leid zu befreien, bis sie ihren Schmerz ausdrücken konnten und jemand mit ihnen in diesem Schmerz sein konnte.
Das zeigt auf, wie einsam viele Menschen in ihrem Schmerz sind. Und dass das grösste Problem nicht der Schmerz sondern das Alleinsein damit ist.
Diese Menschen können dann weitergehen, wenn sie endlich jemand in ihrem Schmerz gesehen und es mit ihnen darin ausgehalten hat. Dann lösen sich oftmals auch die sehr destruktiven Verhaltensweisen, mit denen noch mehr Schmerz erzeugt wird (in der Hoffnung, dass er endlich wahrgenommen wird).
Erst dann kann eine Desidentifkation mit dem Schmerz stattfinden und der Mensch kann weitergehen.
Wir alle haben das Bedürfnis gesehen zu werden. Nicht nur in unserer Freude, unserer Macht und unserem Licht, sondern auch in unserem Schmerz, unserer Angst und unserer Dunkelheit.
Das bedeutet übrigens nicht, dass wir destruktive Verhaltensweisen, Süchte und Grenzüberschreitungen von anderen tolerieren müssen oder dass wir uns dauernd in ihren Schmerz begeben müssen, wenn es uns selber nicht guttut. Es ist sinnvoll, sich bewusst zu machen, in welcher Rolle man sich einem Menschen gegenüber befindet und ob das eine Rolle ist, die man einnehmen kann und möchte. Manchmal hilft es auch, jemanden darauf aufmerksam zu machen, dass er Hilfe braucht, auch wenn man selbst die Hilfe nicht geben kann oder will. Geben und nehmen (in welcher Form auch immer) sollten in einer Beziehung ausgeglichen sein, damit es beiden gut geht damit.
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